Die Geschichte der Röhm GmbH

Der Anfang mit Enzymen

Um in Ledergerbereien die unhygienischen Arbeitsbedingungen zu verbessern und das extreme Geruchsproblem zu lösen, versuchte der Apotheker und Chemiker Dr. Otto Röhm, den seit Jahrhunderten zum Lederbeizen verwendeten Hundekot zu ersetzen. Anfang des 20. Jahrhunderts experimentierte er dabei erfolgreich mit Enzymen der Bauchspeicheldrüsen von Schlachttieren. Um diese Idee in größerem Maßstab umzusetzen, gründete er 1907 zusammen mit dem Kaufmann Otto Haas die Firma Röhm & Haas in Esslingen am Neckar. Schon nach kurzer Zeit konnten verschiedene Lederfabriken für das neue Produkt OROPON® gewonnen werden.

Schnelle Erfolge

OROPON®-Fässer, 1910

Der schnelle Erfolg brachte das junge Unternehmen rasch an die Grenzen seiner Kapazität. 1909 entschlossen sich die beiden Inhaber zum Umzug auf ein erweiterungsfähiges Gelände in Darmstadt. Der neue Firmensitz sicherte ihnen zugleich auch kurze Anfahrtswege zu den großen Lederfabriken im Rhein-Main-Gebiet.

Aufgrund der steigenden Nachfrage wurde die Produktion stetig aus- und ein systematischer Vertrieb in Deutschland aufgebaut. Gleichzeitig richtete das Unternehmen Vertretungen im französischen Lyon und vor allem in den USA, in Philadelphia, ein. Otto Haas übernahm dort die Geschäftsführung und kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück.

Mit dem Erfolg von OROPON® hatte Dr. Otto Röhm als erster den Weg zur industriellen Verwertung von Enzymen geebnet. Seine weiteren Forschungen in diesem Bereich eröffneten neue Anwendungsgebiete. So führte Röhm & Haas 1914 das enzymbasierte Einweichmittel BURNUS® ein, welches das Wäschewaschen erleichterte.

Abfüllung von BURNUS®, 1923

1920 folgten Wundpflegemittel und wenig später Produkte für die Körperpflege. Auch in der Textil- und speziell in der Seidenindustrie sowie bei der Herstellung von Hautleim sorgten enzymhaltige Produkte für nachhaltigen Erfolg. Ab 1934 wurden Enzyme auch für die Lebensmittelindustrie verwendet, anfangs um Apfelsäfte zu klären, nach dem Zweiten Weltkrieg auch bei der Herstellung von Backwaren. Erst in den 1990er Jahren trennte sich das Unternehmen von allen Aktivitäten aus dem Bereich Enzyme.

Der zweite Säule

Mit den ersten Produkten der Acrylat- und Methacrylat-Chemie in den Jahren um 1930 begann sich der Charakter von Röhm & Haas langsam zu verändern. Ihren Anfang hatte diese Entwicklung bereits 1901 genommen mit der Dissertation von Otto Röhm über die „Polymerisationsprodukte der Acrylsäure“, die eigentlichen Forschungsarbeiten auf dem Acrylgebiet liefen 1911 an. 1927 kam es zu ersten greifbaren Ergebnissen und ein Jahr später begann die Produktion eines durchsichtigen Verbund-Sicherheitsglases mit innenliegender Acrylat-Schicht als Verglasungsmaterial für die Automobilindustrie.

Weitere intensive Forschungsarbeiten führten schließlich 1933 zur Erfindung von PLEXIGLAS®. Auf dieser Basis schuf sich Röhm & Haas ab den 1930er Jahren eine breite Produktpalette für vielfältige Anwendungen. So befassten sich Dr. Otto Röhm und seine Chemiker ab 1935 der Herstellung und Verarbeitung von perlförmigen Granulaten, die im Spritzgussbereich für Haushaltsartikeln, Schreib- und Zeichengeräten oder Kfz-Rückleuchten verwendet wurden. Daneben entstanden andere Polymerisate, z.B. in Form von wässrigen Dispersionen für die Textil- und die Lackindustrie. 1937 erhielt Röhm & Haas für ihre außergewöhnliche Erfindung auf der Weltausstellung in Paris den Grand Prix und eine Goldmedaille.

Besteck aus PLEXIGLAS®, 1937

Röhm & Haas im Nationalsozialismus

Bereits ab 1936 wurde der diktatorische Anspruch des NS-Regimes und seiner Wirtschaftsverbände, kriegswichtige Produkte im Auge zu behalten und unter Kontrolle zu bringen, spürbar. Röhm & Haas wiederum hielt eine Kooperation für unabdingbar und warb für seine Produkte. Der Erfolg stellte sich sehr bald ein und das Unternehmen wurde im Vierjahresplan berücksichtigt. Dies führte zu einer deutlichen Stärkung der eigenen Stellung gegenüber der konkurrierenden Großindustrie und zu gewinnbringenden Rüstungsaufträgen.

Flugzeugkanzel einer Heinkel He 111, 1939

Das Interesse des NS-Regimes an PLEXIGLAS® veränderte die Ausrichtung des Unternehmens und die Enzymproduktion wurde angesichts der boomenden Kunststofffertigung für die Kriegswirtschaft vernachlässigt. Röhm & Haas wurde zum Rüstungsunternehmen, das dem Reich vornehmlich PLEXIGLAS® für die Flugzeugkanzeln von Jagdflugzeugen und Bombern lieferte. Um die hohe Nachfrage zu befriedigen wurden die Produktionskapazitäten im Stammwerk Darmstadt ausgebaut und die Werke Mittenwalde (südlich von Berlin) sowie Worms am Rhein errichtet. Möglich wurde die enorme Produktionssteigerung durch den Einsatz zahlreicher Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangener. Im September 1944 betrug ihr Anteil insgesamt 26 Prozent der Belegschaft.

Neue Produkte

Mit der Produktionsgenehmigung, die Röhm & Haas am 17. Oktober 1945 von den amerikanischen Militärbehörden erhielt, konnte das Unternehmen die Produktion seiner Enzym- und Kunststoffprodukte wieder aufnehmen – aufgrund der kriegsbedingten Zerstörungen zunächst in eingeschränktem Umfang. Anfang der 1950er Jahre wurde die Produktpalette um Polymere für Beschichtungstabletten erweitert. Dank dieser pharmazeutischen Polymere, die seit 1954 unter dem Markennamen EUDRAGIT® vermarktet werden, kann die Abgabe von Wirkstoffen lokal oder zeitlich gesteuert werden. Darüber hinaus wurden auch Systeme für Pflaster entwickelt, die die Wirkstoffabgabe über die Haut steuern. Die 1953 entwickelten Öladditive VISCOPLEX® tragen zur Verbesserung des Viskositätsindex in Schmierstoffen, Getriebe- und Hydraulikölen bei und sorgen für gleichbleibend gute Schmiereigenschaften der Öle bei unterschiedlichen Temperaturen. Der 1970 auf den Markt gebrachte Hartschaum ROHACELL® entwickelte sich zu einem Hightech-Produkt und ist heute ein gefragter Kernwerkstoff in der Composite-Produktion für Sportgeräte, Flugzeuge, Schiffe, Windkraftanlagen, Hochgeschwindigkeitszüge und Satellitentransportraketen.

ROHACELL® Broschüre, 1970

Die Entwicklung des Unternehmens

Zu Beginn eine offene Handelsgesellschaft, war Röhm & Haas von 1920 bis 1938 eine Aktiengesellschaft und wurde anschließend bis 1970 als GmbH geführt. Nach dem Ausscheiden der Familie Haas aus dem Gesellschafterkreis im Jahr 1971 erfolgte die Umbenennung in Röhm GmbH. Zunächst hielt die BASF AG eine Minderheitsbeteiligung, die nach zehn Jahren an die Hüls AG, Marl, verkauft wurde. Ende 1989 übernahm Hüls auch alle anderen Anteile. Nach dem Zusammenschluss  der Hüls AG mit der Degussa AG im Jahr 1999 wurden die Methacrylat-Aktivitäten der Degussa mit Röhm verschmolzen. Nach mehreren Fusionen ging Röhm in der Evonik Industries AG auf.

Heute sind am Evonik-Standort Darmstadt Mit Betriebsstätte Weiterstadt rund 1.300 Mitarbeiter in den Divisions Nutrition & Care (Pharma Polymere), Specialty Additives (Öladditive), Smart Materials (ROHACELL)® und  Technology & Infrastructure beschäftigt – zusammen mit rund 130 Auszubildenden und Studenten.

Der Bereich der Methacrylat-Aktivitäten wurde ausgegliedert und firmiert seit dem 1. August 2019 als eigenständiges Unternehmen, wofür der traditionelle Name Röhm GmbH gewählt wurde.