Bonn-Beuel
Die Anfänge
Die Produktionsstätte Bonn-Beuel des, am 1. Dezember 1846 gegründet als Dr. L.C. Marquart OHG, hat eine spannende Geschichte. Den Grundstein legte, 1804 in Osnabrück als Sohn eines königlichen Beamten geboren. Der promovierte Apotheker erhielt 1837 von der Stadt Bonn die Genehmigung, in privaten Räumen ein pharmazeutisches Institut zu errichten. Dieses nahm im Wintersemester 1838 seine Lehrtätigkeit mit anfänglich fünf Studenten auf.
Als alle Versuche, einen Lehrstuhl für Pharmazie zu erlangen oder eine Apotheke zu eröffnen, gescheitert waren, schloss Marquart 1845 sein überaus erfolgreiches Institut und erwarb stattdessen ein Grundstück im Bonner Thalweg Nr. 32. Dort siedelte er ein chemisches Laboratorium an, das am 1. Dezember 1846 die Produktion von Feinchemikalien, Reagenzien, Säuren und pharmazeutischen Präparaten aufnahm. All dies war bis dahin noch nie im industriellen Maßstab produziert worden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, bedingt durch das Revolutionsjahr 1848 und einen zerstörerischen Brand, entwickelte sich das Geschäft bald sehr günstig.
In den folgenden Jahren erhielt die Dr. L.C. Marquart OHG für ihre vorzüglichen Produkte zahlreiche Medaillen und Ehrenmünzen auf den verschiedensten Gewerbe- und Industrie-Ausstellungen. Der Kundenkreis erstreckte sich über ganz Europa, da viele der Präparate exklusiv von Marquart hergestellt wurden. Zu den Erfolgsprodukten zählten u. a. Schwefelkohlenstoff und bereits seit 1847 Chloroform für Narkosezwecke. Darüber hinaus hatte Dr. Ludwig Clamor Marquart die industrielle Produktion des Liebig-Horsfordschen Backpulvers übernommen. Rezept und Verfahrensvorschriften wurden jedoch 1890 an den damals noch unbekannten Apotheker August Oetker verkauft.
Im Januar 1872 übertrug Marquart die Firmenleitung auf seine Söhne Louis und Paul. Die beiden erweiterten die Fabrik und bauten ihre Handelsbeziehungen vor allem mit Großbritannien und den USA aus. Trotz der unternehmerischen Erfolge schied Paul Marquart 1876 nach Unstimmigkeiten aus der Firma aus und gründete in Kassel einen eigenen Betrieb.
Verlagerung des Betriebes
Die Stadt Bonn hatte 1872 den Antrag auf eine Erweiterung des Firmengeländes abgelehnt. Dennoch lag das Firmengebäude 1885 inmitten eines Wohngebiets und die Anwohner führten wegen der störenden Geruchsentwicklung Klage. Daher erfolgte 1891 die Verlegung der gesamten Fabrik ins nahegelegene Beuel. An der Siegburger Straße übernahm man die vormalige Auguste-Hütte, die vollständig umgebaut wurde. Einige Jahre später kam das Gelände einer früheren Tapetenfabrik hinzu. In Beuel wurde die Produktion von Kaliumpermanganat, Wismut, Lithiumsalzen sowie Ätznatron und Ätzkali neu aufgenommen.
In fremden Händen
1892 verkaufte Louis Marquart die Anteile an der Fabrik seines Vaters an Dr. Alfred Kölliker, der seit 1886 stiller Teilhaber der Firma war. Kölliker führte das Unternehmen zunächst erfolgreich weiter. In den Jahren des Ersten Weltkrieges kam die Spezialfabrikation von Lithiummineral auf Lithiumsalz wegen Rohstoffmangel zum Erliegen. Die finanziellen Schwierigkeiten nahmen zu und so musste Kölliker die Dr. L.C. Marquart OHG im Dezember 1918 an den Hauptgläubiger, die Kölner Firma M. Lissauer & Cie., verkaufen.
Die am 23. Dezember 1921 in eine AG umgewandelte Dr. L.C. Marquart gab das Reagenziengeschäft auf. Man produzierte stattdessen Farben, Bariumnitrat und Strontiumverbindungen. Zudem stellte das Werk die Produktion um auf die Verarbeitung von chemischen und metallurgischen Rückständen, Erzen und Metallen zu Metallsalzen für die galvanische Glas- und keramische Farbenindustrie. Zu den Kunden zählte auch die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt vormals Roessler (ab 1980 Degussa AG) aus Frankfurt, u. a. ein namhafter Hersteller von Keramischen Farben.
Arisierung der Firma 1936
Meno Lissauer, der neue Eigentümer der Dr. L.C. Marquart AG, war jüdischer Abstammung. Bereits vier Monate nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.
Anfang 1933 ergingen erste Boykottaufrufe gegen jüdische Geschäfte und Betriebe. Im Dezember 1935 fragten Vertreter der Dr. L.C. Marquart AG bei der Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt an, ob sie bereit wäre, das Unternehmen zu erwerben. In den folgenden Verhandlungen setzten die Verantwortlichen der Degussa bei den Behörden durch, dass die jüdischen Mitarbeiter weiter beschäftigt werden durften. Bei der Verarbeitung von täglich wechselnden Rohmaterialien spielte deren langjährige Erfahrung eine bedeutende Rolle.
Am 27. August 1936 ging die Dr. L.C. Marquart AG in den Besitz der Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt über. Auf Druck der Deutschen Arbeitsfront (DAF) wurde 1938 den jüdischen Mitarbeitern entgegen aller Zusagen gekündigt.
Ein genaueres Bild über den Ablauf der "Arisierung" der Dr. L.C. Marquart AG zeichnet der amerikanische Historiker Peter Hayes in seinem Buch über die Degussa im Nationalsozialismus (C.H. Beck Verlag).
Nachkriegszeit und Wiederaufbau
Die Dr. L.C. Marquart AG wurde im Zweiten Weltkrieg zu 60 Prozent zerstört, im März 1945 völlig stillgelegt und kurz darauf von den Amerikanern besetzt. Danach gehörte das Werk zur britischen Besatzungszone. Im August 1945 lief die Produktion mit Kalkasernat, einem Mittel gegen Kartoffelkäfer, wieder an. Wegen Mangels an Rohstoffen wurde die Metallaufarbeitung zunächst nicht wieder aufgenommen. Stattdessen errichtete man eine Großanlage zur Produktion von Calsil, einem wichtigen Füllstoff für die Reifenindustrie. Die Metallbetriebe wurden in den fünfziger Jahren wiederbelebt, zuvor war bereits die Cadmiumelektrolyse - die einzige in Deutschland - sowie eine Wismutraffinerie angelaufen.
Die prosperierende Dr. L.C. Marquart AG wurde 1961 in eine GmbH umgewandelt. Die Produktion umfasste neben den Füllstoffen Calsil und Durosil auch die Herstellung von anorganischen Salzen der Elemente Arsen, Wismut, Cadmium, Zink, Blei, Lithium, Thallium, Nickel, Kobalt, Kupfer, Selen, Strontium und Barium, sowie von hochreinem Cadmiummetall und Cadmiumpigmenten. Seit 1963 wurden zudem Mattierungsmittel produziert.
1979 erfolgte die Eingliederung der L.C. Marquart GmbH als Werk Marquart in die Degussa AG. Diese verdoppelte 1982 die Kapazität der Mattierungsmittelproduktion, während die Herstellung diverser Schwermetallverbindungen sukzessive stillgelegt wurde. 1998 stellte Degussa die Cadmiumpigmentproduktion und die Fabrikation von Anorganischen Salzen ein. Im gleichen Jahr wurde das Werk Marquart organisatorisch in das nahegelegene Degussa-Werk Wesseling eingegliedert. Ein Jahr später begannen in den stillgelegten Produktionsanlagen umfangreiche Abriss- und Sanierungsarbeiten. Eine neue Infrastruktur wurde geschaffen und im Jahr 2001 eine neue Mattierungsmittel-Fällanlage sowie ein Turbinen-Trockner in Betrieb genommen.
Heute ist der traditionsreiche Standort Marquart ein Teil von Evonik Industries. Er ist ein Spezialbetrieb für die Herstellung von Mattierungsmitteln der ACEMATT®-Produktpalette, d.h. feindisperser Kieselsäuren für hochwertige Lacke.