Der Patriarch
Theo Goldschmidt, Industrieller und Chemiker
Nur von wenigen Industriellen wird man sagen können, dass sie über 50 Jahre in leitender Funktion ein erfolgreiches Unternehmen geprägt haben, noch dazu, wenn in dieser Zeitspanne zwei Weltkriege, drei politische Umstürze und eine Weltwirtschaftskrise lagen – auf Theo Goldschmidt trifft dies zu.
Als ältester Sohn von Karl Goldschmidt und Enkel des Firmengründers Theodor Goldschmidt wurde Theo in Berlin geboren, ging aber in Essen zur Schule. Er studierte Chemie an der TH Dresden und an den Universitäten München und Straßburg und promovierte 1908. Anschließend trat Theo Goldschmidt in die von seinem Vater und seinem Onkel Hans Goldschmidt geleitete Chemische Fabrik Th. Goldschmidt ein und wurde schnell Leiter der zur damaligen Zeit bedeutenden Zinnhütte. Nach der Gründung der Th. Goldschmidt AG 1911 bekleidete er ein Mandat im Vorstand und folgte schließlich Anfang 1923 seinem Vater auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden nach, ein Amt, das er bis 1958 ausübte. Unter der Verantwortung von Theo Goldschmidt entwickelte sich das eher metallurgisch ausgerichtete Unternehmen zu einem stärker diversifizierten Spezialchemiekonzern mit weltweiter Ausrichtung.
Anders als Vater und Onkel war Theo Goldschmidt kein bedeutender Chemiker, dafür aber bewies er über Jahrzehnte hinweg insbesondere in Krisenzeiten großes unternehmerisches Geschick. Er war maßgeblich verantwortlich für den Fortbestand der Th. Goldschmidt AG während der Weltwirtschaftskrise 1930/32 sowie im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus ging auch der wirtschaftliche Aufschwung in den 50er Jahren auf ihn zurück.
Die nationalsozialistische Machtergreifung wurde dabei von ihm zunächst begrüßt, dies jedoch nicht ohne eine gewisse Distanziertheit, die schließlich in eine offene Ablehnung des NS-Regimes mündete. Gerade in den Jahren ab 1933 zeigte der versierte Sammler und Kunstkenner Theo Goldschmidt ein besonderes – und im Gegensagtz zur offiziellen Kunstpolitik stehendes – Engagement im Folkwang-Museumsverein, das dazu beitrug, dem berühmten Essener Museum Folkwang durch diese schwierigen Jahre zu helfen.
Trotz seines patriarchalisch-konservativen Auftretens erfreute sich Theo Goldschmidt mit den Jahren großer Beliebtheit und wurde allgemein nur Dr. Theo bzw. nach der Verleihung einer Professur der TH Hannover im Jahre 1954, Prof. Theo genannt.
Er genoss die persönliche Wertschätzung namhafter Politiker wie Ludwig Erhard und Theodor Heuss und war unter anderem langjähriger Präsident der IHK Essen, Senator der Max Planck-Gesellschaft sowie Schatzmeister der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Darüber hinaus hielt Theo Goldschmidt Mandate in den Verwaltungsräten zahlreicher Institute und im Aufsichtsrat namhafter Unternehmen, darunter der Commerzbank oder der Feldmühle AG.
1958 erhielt er kurz vor seinem Ruhestand das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Anschließend zog er sich auf den Familiensitz nach Seeheim zurück, blieb aber bis zu seinem Tod noch Aufsichtsratsvorsitzender der Th. Goldschmidt AG.