Der "Vater" der zentralen Forschung
Ulrich Hoffmann, Chemiker
Ulrich Hoffmann spielte in zwei der ehemaligen Chemiegesellschaften von Evonik eine wichtige Rolle: als Geschäftsführer der Chemische Werke Hüls GmbH und Mitglied des Vorstandes der vormaligen Degussa.
Der Sohn eines Studienrats nahm 1919 das Studium der Chemie an der Technischen Hochschule Dresden auf. 1924 promovierte er mit einer Arbeit über „Interferometrische Untersuchungen über den Reinheitsgrad von Gasen“ und begann anschließend als Betriebstechniker im Hauptlabor der Badischen Anilin- und Sodafabrik (ab 1945 BASF AG) in Ludwigshafen, die 1925 in der I.G. Farbenindustrie AG aufging. Drei Jahre später wechselte Hoffmann zur Indigo-Abteilung des Unternehmens. Dort war er an der Entwicklung eines Verfahrens zur Erzeugung von 1,3-Butadien beteiligt, das später in den Bunawerken Schkopau und bei der Chemische Werke Hüls GmbH verwendet wurde. Bereits 1936 war er stellvertretender Werkleiter in Schkopau und wurde im November 1938 für die I.G. Farbenindustrie AG Geschäftsführer der Chemische Werke Hüls GmbH in Marl. Diese war am 9. Mai 1938 zur Produktion des Ersatzstoffes Buna (synthetischer Kautschuk) gegründet worden und als Rüstungsbetrieb Teil der Autarkiepolitik im Wirtschafts- und Kriegssystem des Nationalsozialismus.
Die I.G. Farbenindustrie AG besaß mit 74 Prozent den Löwenanteil an den Chemischen Werken; die ebenfalls beteiligte Bergwerksgesellschaft Hibernia AG hielt 26 Prozent. Dr. Hoffmann hatte die technische Leitung, Dr. Hans Günther, der Vertreter der Hibernia, die kaufmännische Leitung inne. Als größerer der beiden Partner achtete die I.G. Farbenindustrie AG sehr darauf, Ulrich Hoffmann jene Abteilungen zu unterstellen, in denen ihre Patente, Wissen und Erfahrungen zur Bunaherstellung lagen. Der Vertreter der Hibernia sollte dabei „außen vor“ gelassen werden. Die beiden Geschäftsführer hingegen waren mehr um gute Zusammenarbeit bemüht und versuchten, den Handlungsspielraum ihrer Gesellschaft gegenüber der I.G. Farbenindustrie auszuweiten.
Nachdem Hüls am Ende des Krieges zunächst von den Amerikanern besetzt worden war, übernahmen die Engländer am 1. Juni 1945 das Werk. Ulrich Hoffmann wurde von der britischen Militärregierung beauftragt, die Wasag Chemie GmbH, Sythen (heute ein Ortsteil des nahe gelegenen Haltern), wieder in Gang zu bringen; Werkleiter in Marl wurde der bisherige stellvertretende Geschäftsführer und Produktionsleiter Dr. Paul Baumann, der aufgrund seiner mehrjährigen Tätigkeit in den USA fließend Englisch sprach. Im Juni 1948 löste die britische Militärverwaltung den Vertrag mit Ulrich Hoffmann auf.
Als kurz darauf die Degussa den Vorstandsposten für den Bereich Forschung und Technik neu besetzen wollte, schlug das Degussa-Aufsichtsratsmitglied Dr. Carl Wurster dafür Ulrich Hoffmann vor. Weil seitens der Chemischen Werke Hüls auf die Einhaltung eines Wettbewerbsverbots verzichtet worden war, konnte Hoffman am 1. April 1950 im Degussa-Vorstand die Leitung der Technik und Forschung übernehmen. Zu seiner Einstellung heißt es in der Niederschrift einer Besprechung zwischen Vorstand und Vertretern des Gesamtbetriebsrats vom 20. Februar 1950: „Der Vorstand berichtete darüber, dass es seinen und den Bemühungen des Aufsichtsrats gelungen ist, in der Person des Herrn Dr. Ulrich Hoffmann einen hochqualifizierten Chemiker ausfindig zu machen, der nach einer sehr sorgsamen Prüfung alle Voraussetzungen mitbringt, [...] in den Vorstand einzuziehen.“
Ulrich Hoffmann engagierte sich besonders für den Ausbau der Forschungsaktivitäten, die bei der Degussa in den ersten Nachkriegsjahren zugunsten des Wiederaufbaus zurückgestellt worden waren. Mit seinem außerordentlichen chemischen Wissen und Können hob er die Forschung der Degussa auf ein Niveau, das sie, so der spätere Vorstandsvorsitzende Dr. Felix Prentzel, „vorher nie erreicht hatte“. 1953 holte Hoffmann Dr. Wilhelm Schuler, einen ausgezeichneten Arzneimittelforscher zur Degussa, ernannte diesen zunächst zum Leiter der Pharmaforschung und unterstellte ihm später die gesamten Chemieforschungsaktivitäten des Unternehmens. Gemeinsam mit Schuler veranlasste er zunächst die innere und äußere Straffung des Forschungsbereiches. Schließlich gelang es Hoffmann, die bei der Degussa weit verstreuten Forschungsabteilungen in einem zentralen und modernen Forschungszentrum in der damaligen Zweigniederlassung Wolfgang, dem heutigen Industriepark Wolfgang von Evonik Industries, zu bündeln. Mit seinen Leistungen erweiterte sich im Laufe der Jahre Hoffmanns Aufgabengebiet, das zuletzt auch die Weiterentwicklung und den Ausbau der chemischen Anwendungstechnik und Produktion sowie die Produktion im Metallgebiet (darunter Metallfertigung, Glüh- und Härtetechnik und Edelmetallbereich) umfasste.
Aufgrund seiner umfangreichen Erfahrungen und seiner früheren Tätigkeit wurde Ulrich Hoffmann in den Aufsichtsrat der 1953 in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Chemischen Werke Hüls berufen. Ab dem 1. Juni 1960 gehörte er dem Vorstand der Chemie-Verwaltungs AG an, die damals 50 Prozent des Hülser Aktienkapitals hielt. Im Vorstand der Degussa AG wirkte Hoffmann 14 Jahre und war Aufsichtsratmitglied der Chemischen Werke Hüls AG bis zu seinem Tod 1970.