Die zweite Gründerzeit
1900
Für die verstärkte Vermarktung des neuen Thermit-Verfahrens zur Herstellung kohlefreier Metalle sowie zur Schienenschweißung gründete die Chemische Fabrik Th. Goldschmidt die Allgemeine Thermit-Gesellschaft. Diese wurde die Rechtsvorgängerin der 1919 gegründeten Elektro Thermit GmbH, die 1998 veräußert wurde.
1901
Johannes Pfleger fand für die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt ein Verfahren, das die synthetische Herstellung von Indigo mit Hilfe von Natriumamid - einem Zwischenprodukt der Natriumcyanidsynthese - als Kondensationsmittel rationalisierte und damit die wirtschaftliche Großproduktion ermöglichte. Das „Pflegersche Indigoverfahren“ wurde gemeinsam mit der Hoechst AG ausgewertet und brachte über Jahrzehnte hohe Gewinne.
Der aus dem schwäbischen Öhringen stammende Apotheker und Chemiker Otto Röhm verfasste in Tübingen seine Dissertation über die „Polymerisationsprodukte der Akrylsäure“. Damit legte er die Basis für sein späteres, erfolgreiches Unternehmen der Methacrylatchemie, die Röhm GmbH, Darmstadt, als eine weitere Wurzel der heutigen Evonik Industries AG.
1902
Die wachsende Orientierung der Firma Goldschmidt an internationalen Märkten führte zur Gründung der ersten ausländischen Tochtergesellschaft, der Th. Goldschmidt Ltd. in London. 1906 folgte die Goldschmidt Chemical Co. in New York.
1904
Auch für die globale Verbreitung des Thermit-Verfahrens gründete Goldschmidt Tochtergesellschaften. So entstand 1904 in New York die Goldschmidt Thermit Co., während im gleichen Jahr in London die Thermit Ltd. ihre Tätigkeit aufnahm.
1905
Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt beteiligte sich zusammen mit drei weiteren Firmen an der Gründung der Chemischen Fabrik Wesseling AG, die Kaliumferrocyanid herstellte. Auf dem Gelände dieses Unternehmens - ab 1959 Zweigniederlassung und seit 1980 Werk Wesseling der vormaligen Degussa - werden bis heute neben den ursprünglichen Produkten Schwefelsäure, Blausäure und Blausäurefolgeprodukte die Aminosäure Methionin und gefällte Füllstoffe hergestellt. Die in den Produktionsanlagen gewonnenen Kieselsäuren und Silikate werden als Verstärkerfüllstoffe für Kautschuk eingesetzt.
Erstes Natriumperborat nach einem von Otto Liebknecht bei der Scheideanstalt entwickelten Verfahren. Zwei Jahre später kam es zu einem langjährigen Perborat-Liefervertrag mit der Firma Henkel in Düsseldorf. Henkel stellte unter Verwendung von Natriumperborat das erste „selbsttätige“ Waschmittel her und brachte es unter dem Namen "Persil" - 'Per' für Perborat und 'Sil' für Silikat („Henkels Bleichsoda“) - auf den Markt. Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt begann 1907 mit der Großfabrikation von Natriumperborat im Werk Rheinfelden am Oberrhein, heute ein Teil des Werkes Rheinfelden der Evonik Industries.
In Witten wurde die „Märkische Seifenindustrie GmbH (MSI), die Keimzelle des Werks Witten der späteren Hüls AG, Marl, gegründet. Die MSI war eine kleine Seifensiederei und diente der Unterstützung der ortsansässigen freikirchlichen Kirchengemeinde. 1913 erwarb Clemens Stallmeyer, der zwei Jahre zuvor zusammen mit dem Drogisten-Sohn Arthur Imhausen die Chemische Fabrik Buer GmbH zur Produktion von Waschmitteln gegründet hatte, 50 Prozent der Anteile der MSI. Anschließend wurde Imhausen deren Geschäftsführer. 1922 erfolgte die Umwandlung in eine OHG. Ab 1926 setzte der Wandel in einen Betrieb der Fettchemie ein, als man in Witten mit der Umesterung pflanzlicher Fette und Öle auf organischer Basis zwecks Herstellung synthetischer Fettsäuren und Fette begann. Heute zählt das Werk Herne/Witten bei Evonik Industries zu den ganz großen Standorten für die Herstellung von Rohstoffen für die Lack- und Farbenindustrie.
Mit der Einführung der Weißblechentzinnung mittels Chlor gelang der Firma Goldschmidt ein entscheidender Entwicklungsschritt. Gegenüber der elektrolytischen Entzinnung bot das neue, von Karl Goldschmidt und Josef Weber gemeinsam entwickelte, Verfahren deutliche Vorteile: geringerer technischer Aufwand, Verringerung der benötigten Arbeitskraft, hochwertigeres Zinn, besser entzinnter Eisenschrott, vereinfachter Transport des Zinns. Der durchschlagende Erfolg der Chlorentzinnung revolutionierte den Weißblechmarkt, in dem Goldschmidt bis 1914 das weltweit dominierende Unternehmen war. Im letzten Vorkriegsjahr 1913 wurden in Essen mehr als 100.000 Tonnen Blech verarbeitet – ein später nie mehr erreichter Rekord.
1906
Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt beteiligte sich zum 1. Januar an der Platinschmelze G. Siebert OHG in Hanau. 1934 ging das Unternehmen in den Alleinbesitz der späteren Degussa über. Mitte der 1970er Jahre wurde die Platinscheiderei ins Metallwerk auf dem Degussa-Gelände in Hanau-Wolfgang verlegt. Bis 1995 folgte der Umzug der Fertigungsbereiche Gold-, Silber- und Platinerzeugnisse. Der Edelmetallbetrieb in Wolfgang wurde im August 2000 an die Norddeutsche Affinerie, Hamburg, abgegeben und dorthin verlagert.
Im Bemühen um qualifizierte Mitarbeiter und zur Erhöhung der Betriebstreue der Belegschaft führte Goldschmidt den bezahlten Urlaub ein. Neu daran war insbesondere der zugesicherte Urlaubsanspruch, der bereits seit 1894 bei der Scheideanstalt Geltung hatte.
1907
Für ihre Angestellten gründete die Scheideanstalt eine selbständige „Pensionskasse der Beamten der Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt vormals Roessler“. Die Kasse wurde nach Inkrafttreten des Angestelltenversicherungsgesetzes (1911) in eine von der Reichsversicherungsanstalt unabhängige Zulagekasse umgewandelt.
Am Krefelder Bäkerpfad errichtete die 1873 gegründete Crefelder Seifenfabrik Stockhausen & Traiser ein Zweigwerk zur Produktion der sogenannten Monopolseife. Diese Seife war 1896 erstmals auf der Basis von sulfoniertem Rizinusöl hergestellt worden und hatte durch ihren Einsatz in der Textilindustrie besondere Bedeutung erlangt, da sie keine Kalkseifen bildete und so eine gute Benetzung der Textilien mit Wasser gewährleistete. Die Produktion von Monopolseife wurde in den 1950er Jahren aufgegeben. Einen weiteren Meilenstein in der Standortgeschichte stellte die erste Großproduktionsanlage für Superabsorber im Jahr 1986 dar. Superabsorber leisten vor allem in Babywindeln große Dienste beim kleinen Geschäft. Ihre Produktion steht bis heute im Zentrum des Krefelder Standortes der Evonik Industries AG.
Otto Röhm entwickelte ein auf den Enzymen der Pankreasdrüsen basierendes Beiz-Verfahren für tierische Häute und meldete es zum Patent an. Mit seinem Freund, dem Kaufmann Otto Haas, gründete der Apotheker und Chemiker am 6. September die Firma Röhm & Haas OHG im schwäbischen Esslingen und nahm die Herstellung und Vermarktung seines Lederbeizmittels OROPON auf. Das daraus entstandene Röhm-Lederhilfsmittelgeschäft wurde 1996 in das Joint Venture TFL (Together for Leather) ausgegliedert und schließlich im Jahr 2001 verkauft.
Mit dem Kauf der London Elektron Works Co. Ltd. dominierte Goldschmidt endgültig den britischen Entzinnungsmarkt, den weltweit zweitwichtigsten nach den USA. Zuvor waren mit einigen Konkurrenten bereits Kooperationsverträge geschlossen worden, andere Firmen verschwanden angesichts der Überlegenheit des Goldschmidt'schen Entzinnungsverfahrens schnell wieder vom Markt.
Goldschmidt errichtete im "grünen Süden" von Hattingen ein Erholungsheim für die Belegschaft. Nachdem dieses jahrzehntelang sehr erfolgreich seinem Ursprungszweck gedient hatte, wird der Fachwerkhof heute von Evonik Industries als "Haus Bredenscheid" in erster Linie für Seminare und Tagungen genutzt.
1908
Die Chemische Fabrik Th. Goldschmidt gründete die Goldschmidt Detinning Co. in Chrome/New York. Dieses wichtige Tochterunternehmen beherrschte mit seinen großen und modernen Entzinnungskapazitäten bald den gesamten nordamerikanischen Markt. Die Goldschmidt Detinning führte 1911 auch als Erste das in Essen neuentwickelte alkalische Entzinnungsverfahren ein und baute dafür eine Großanlage in Chicago.
1909
Die stark wachsende Nachfrage nach dem Lederbeizmittel OROPON erforderte bei Röhm & Haas eine Produktionsausweitung, die am bisherigen Standort Esslingen nicht möglich war. Neuer Firmensitz wurde ab dem 22. Juli Darmstadt in direkter Nähe zu den großen Lederfabriken des Rhein-Main-Gebietes. Die im gleichen Jahr gegründete Vertriebsgesellschaft in Philadelphia, USA, nahm bereits im Jahr darauf selbst die Produktion von OROPON auf.
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