Der erste Vorstandsvorsitzende der Degussa AG, 1930-1939
Ernst Busemann, Jurist und Kaufman
Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium seiner Heimatstadt Köln ging Busemann ab 1895 für drei Jahre im Koblenzer Bankhaus Seligman in die Lehre. Nebenbei befasste sich der junge Mann mit Rechtwissenschaften und wurde nur ein halbes Jahr nach Abschluss der Lehre an der Universität Göttingen zum Dr. jur. promoviert.
1903 wurde Ernst Busemann Privatsekretär von Wilhelm Merton, dem Mitbegründer der Frankfurter Metallgesellschaft AG, und leitete von 1904 an mehr als zehn Jahre die Usine de Désargentation im belgischen Hoboken. Diese 1887 gegründete Entsilberungshütte gehörte der Metallgesellschaft und der Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt vormals Roessler (seit 1980 Degussa AG) zu gleichen Teilen. Als sie im Ersten Weltkrieg enteignet und unter belgische Verwaltung gestellt wurde, kehrte Busemann nach Deutschland zurück und übernahm die Führung der Kriegsmetall AG in Berlin, die, wie andere Unternehmen auch, vom Kriegsministerium zur Durchführung der Rohstoffbewirtschaftung errichtet worden war.
Ein neuer Unternehmertyp
Bereits 1916, sicherte sich die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt Busemanns Mitarbeit für die Nachkriegszeit. 1919, bei seinem Eintritt in den Vorstand der Degussa, war Ernst Busemann 43 Jahre alt. In Industrie- und Bankkreisen genoss er hohes Ansehen. Busemann war ein neuer Unternehmertyp, der - anders als die ältere Generation - den Schwerpunkt seiner Tätigkeit nicht allein in der Entwicklung der Produktionstechnik und des Absatzes sah. Für ihn stand fest, dass die Degussa, von der nach 1918 als Weltunternehmen nicht viel übriggeblieben war, die Geschäftspolitik der Vorkriegszeit nicht wieder aufnehmen durfte.
Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten, einer zunehmenden Produktion im Ausland und einer Absperrung der Märkte konnte die Degussa nur dann ihre einstige Bedeutung zurückgewinnen, wenn ihr die Ausweitung ihrer bestehenden und insbesondere der Erwerb neuer Fabrikationen gelang. Die für den Wiederaufbau der Geschäfte notwendige Geldbeschaffung erfolgte über Darlehen am Kapitalmarkt, der trotz inflatorischer Geldentwertung sehr "flüssig" war, und über bedeutende Kapitalerhöhungen in den Inflationsjahren bis 1923.
Seine Vorstandskollegen anerkannten Busemanns Leistungen für die Degussa in den schwierigen Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. "Seine Stärke ist, die wirtschaftlichen und namentlich die finanziellen Zusammenhänge der Geschäfte rechtzeitig zu erkennen und mit großem Geschick auszunutzen," schrieb Fritz Roessler Jahre später. "So hat er in der Inflation Außerordentliches geleistet, indem er früher als viele andere die Situation richtig erfasste (...)." Als 1930 bei der Degussa das Amt des Vorstandsvorsitzenden eingeführt wurde, war es selbstverständlich, dass Busemann es übernahm.
"Nicht an den Kapitalmarkt appellieren"
Das Vertrauen in die Entwicklung der deutschen Industrie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre teilte der Finanzexperte Busemann nicht und mahnte, "nicht an den Kapitalmarkt zu appellieren". Während viele deutsche Industrieunternehmen vom mittlerweile großen Kreditangebot der Vereinigten Staaten, aber auch Englands zur Beseitigung der Kriegsschäden Gebrauch machten, setzte Busemann bei der Degussa auf Selbstfinanzierung und tat gut daran. Dazu schrieb er 1934: "Die Scheideanstalt hat es für richtig gehalten, die in Reserve gestellten Gewinne dafür zu verwenden, neue, zu ihren Einrichtungen und Erfahrungen passende Gebiete aufzusuchen (...). Die Beschränkung in der Gewinnausschüttung, die Finanzierung von neuen Erwerbungen aus der Gesellschaft heraus, die Unterlassung von Kapitalausweitungen bedeuten natürlich eine gewisse Beeinträchtigung der Aktionärsrechte zugunsten der (...) Finanzkraft. Die inneren Reserven und die finanzielle Unabhängigkeit, sind in erster Linie ein Schutzwall für die Gefolgschaft, der sie in schweren Zeiten zugute kommen."
Trotz allem aber blieb die Degussa verwundbar, was sich vor allem daran zeigte, dass sie zu Beginn der dreißiger Jahre die I.G. Farbenindustrie AG, den großen Konkurrenten, an einigen Unternehmungen (z.B. Degesch, Österreichische Chemische Werke) beteiligen musste.
Noch bedeutsamer aber war ab 1933 der Aufbau einer „gelenkten Marktwirtschaft“ mit den vorgegebenen staatlichen Zielen "Arisierung", Autarkie und Aufrüstung.
Busemann glaubte, sich diesen Vorgaben nicht entziehen zu können, wenn das Unternehmen weiterhin erfolgreich arbeiten wollte. Wenn er auch niemals Mitglied der NSDAP wurde, so steuerte er einen mit dem Regime kooperierenden Kurs. Dazu gab er 1937 die Devise aus: „Es hat keinen Sinn, gegen den Strom zu schwimmen.“ Durch diese taktische Voraussicht des Vorstandes, aber auch durch einige glückliche Zufälle gelang es, die Degussa vor der von der NSDAP angestrebten indirekten Kontrolle durch Parteimitglieder in der Führungs- und Mitarbeiterebene zu bewahren.
Liebhaber der einfachen Lebensführung
Der Privatmann Ernst Busemann liebte die Musik und eine einfache Lebensführung. Sein besonderes Interesse galt der Geschichte jener Städte, in denen er gelebt hatte. Gern machte er lange Wanderungen und Spaziergänge. Auch seine Geschäftsbesuche erledigte er häufig zu Fuß. Einmal ging er die Strecke von Frankfurt nach Darmstadt zur Firma Merck.
In der Nacht von 29. auf den 30. Oktober 1939 starb Ernst Busemann im Alter von 62 Jahren an einer unheilbaren Krankheit. Sein Nachfolger im Amt wurde Hermann Schlosser.