Die Anfänge

Mannheim-Rheinau

Als in den 1870er Jahren mit der Ansiedlung Chemischer Industrie die Basis für das heutige Werk Mannheim gelegt wurde, war der Name „Rheinau“ eine wohlklingende Mogelpackung. Es handelte sich um ein nahezu menschenleeres Brachland rund um einen aufgegeben Exerzierplatz, der ca. 8 km südlich der Residenzstadt Mannheim lag. Genau der richtige Ort, um dort 1873 die „Chemische Fabrik Rheinau“ zu etablieren. Denn dieses Unternehmen sollte Soda nach dem Leblanc-Verfahren sowie Pottasche herstellen, was nicht ohne den Ausstoß giftiger Dämpfe machbar war.

Das Werk verfügte schon frühzeitig über einen Bahnanschluss. Zudem wurde 1897 ein eigener Hafen am nahe gelegenen Rhein in Betrieb genommen. Da das Leblanc-Verfahren zur Sodafabrikation nicht mit dem ab 1873 neu aufkommenden Solvay-Verfahren konkurrieren konnte, musste die Chemische Fabrik Rheinau bereits 1884 die Produktion wieder einstellen. Nach einer grundlegenden Sanierung übernahm die Chemische Fabrik Rhenania in Aachen 1887 das Werk. In der Folge wurden die Rheinauer Anlagen erstmals modernisiert, wobei insbesondere die Herstellung von Salzsäure und ihrer Nebenprodukte lange Zeit von erheblicher Bedeutung war. In den 1890er Jahren wurde die Produktion um Schwefel- und Salpetersäure sowie Chlorkalk und Natriumsulfat erweitert.

1912 bot die Rhenania das Werk, das zu diesem Zeitpunkt rund 320 Mitarbeiter beschäftigte, der Th. Goldschmidt AG an, denn dieses Unternehmen war auf der Suche nach einer sicheren Belieferung mit Vorprodukten und Schwerchemikalien.

Werk Mannheim, Bergin-Anlage, Gemälde, 1929

Übernahme durch Goldschmidt

Nach der Übernahme durch Goldschmidt sollte das Werk Mannheim-Rheinau – die Eingemeindung war ebenfalls 1912 erfolgt – durchgreifend modernisiert und erweitert werden. Die Pläne konnten jedoch aufgrund des Kriegsausbruchs 1914 nicht vollständig realisiert werden. Lediglich eine neue große Schwefelsäurefabrik wurde fertig gestellt. 1916 wurde Rheinau als Standort der von Friedrich Bergius geplanten Versuchsanlage für die Kohlehydrierung, also die Herstellung von Benzin aus Kohle ausgewählt. Obwohl die so genannte Bergin-Anlage 1918 erstmals kleine Mengen Benzin produzierte, erlangte sie nie wirkliche Betriebsreife.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs investierte Goldschmidt 1919 in die Herstellung von Chlorzink. 1928 wurden mit der Aufnahme der Produktion von „Prodorit“ genannten bituminösen Bautenschutzmitteln völlig neue Wege beschritten. Die Prodorit-Linie wurde ein großer Erfolg, der bis in die 1960er Jahre anhielt. Daneben wurden in den 1920er und 1930er Jahren Neuanlagen für die Herstellung von Barium, Chlorbarium und Blanc-fixe errichtet. Der Zweite Weltkrieg verhinderte jedoch eine grundlegende Erneuerung des Standortes.

Da die einzelnen Anlagen des Werks Rheinau während des Krieges kaum beschädigt wurden, konnte nach 1945 die Produktion rasch wieder aufgenommen werden. Im Gegensatz zum nahezu völlig zerstörten Mutterwerk in Essen, mussten in Mannheim keine neuen, entscheidend rationalisierten Anlagen errichtet werden. Man behalf sich mit Einzelmaßnahmen, wie der Modernisierung der Schwefelsäurefabrik und des Sulfatbetriebs Mitte der 1950er Jahre. Neu hinzu kam die Produktion von Chlorkautschuk und von Buntlacken, die bis 1945 in nach Kriegsende enteigneten Betrieben in Halle/Saale hergestellt worden waren.

Ab den 1960er Jahren verlor die in Rheinau ansässige anorganische Schwerchemie innerhalb der Th. Goldschmidt AG zunehmend an Bedeutung.

Werk Mannheim-Rheinau, Luftaufnahme von Südosten, 1971

Dennoch wurde weiterhin investiert, etwa in ein Technikum in den 1970er sowie in eine neue Produktionsanlage zur Herstellung von Schwefelsäure in den 1980er Jahren. Zudem wurde nach und nach die gesamte bei Goldschmidt verbliebene Metallurgie, darunter auch die Herstellung von speziellen Zinnlegierungen sowie von Magnetwerkstoffen in Rheinau angesiedelt.

Der Standort wurde 2008 abgegeben und hat somit nach knapp 100 Jahren keine Beziehungen mehr zur heutigen Evonik Goldschmidt GmbH.