Chemiker - Techniker - Zauberer

Johannes Pfleger, Chemiker

* 1867, Dansenberg (Pfalz)
† 1957, Rheinfelden (Baden

Johannes Pfleger besuchte zunächst die Realschule und anschließend die Industrieschule in München, die er 1884 mit dem Absolutoriumszeugnis (dem Abitur vergleichbar) abschloss. Nach Wehrdienst und Sanatoriumsaufenthalt infolge eines Unfalls immatrikulierte er sich 1886 als Student in der Chemisch-Technischen Abteilung der Königlichen Technischen Hochschule München. Nach Abschluss des Studiums 1891 - eine Promotion an Technischen Hochschulen war damals noch nicht möglich - begann Pfleger seine Tätigkeit als Industriechemiker bei der Degussa, damals noch die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt vormals Roessler, in Frankfurt am Main. Bereits ein Jahr später übernahm er als ausführender Elektrochemiker die Versuchsstation für Elektrochemie und Elektrometallurgie, eine Gemeinschaftsgründung der Degussa und der Metallgesellschaft AG.

Im Jahr 1900 wurde Pfleger zum Untersuchungschemiker und Leiter der Degussa Versuchsabteilung ernannt. Diese Beförderung bedeutete gleichzeitig die Geburtsstunde der Chemieforschung und der chemischen Verfahrenstechnik in diesem Unternehmen. Johannes Pfleger war maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich neben der Edelmetallscheideanstalt ein starker chemischer Zweig entwickelte. In Würdigung seiner Leistungen wurde Johannes Pfleger 1921 als Chefchemiker die Leitung aller Labors und Technika anvertraut. Am 1. April 1933 ging Johannes Pfleger in den Ruhestand, blieb der Degussa aber bis 1942 als freier Mitarbeiter verbunden.

In den ersten Jahren seiner Tätigkeit bei der Degussa beschäftigte sich Pfleger hauptsächlich mit der Cyanchemie. Er fand eine Optimierung des 1899 eingeführten Castner-Verfahrens zur Herstellung von Natriumcyanid, das in dieser verbesserten Form bis 1971 angewandt wurde. Die genaue Kenntnis des Cyanidverfahrens war auch der Auslöser für eine weitere Entwicklung, die ihn in weiten Fachkreisen bekannt machte. Durch den Einsatz von Natriumamid - einem Zwischenprodukt der Natriumcyanidsynthese nach Castner - als Kondensationsmittel bei der synthetischen Herstellung von Indigo aus Phenylglycin in der Alkalischmelze, ermöglichte Pfleger die wirtschaftliche Großproduktion des begehrten blauen Farbstoffs. Diese war bei der seit 1890 verwendeten Heumannschen Indigosynthese wegen der zu geringen Ausbeute nicht möglich gewesen.

Das 1901 patentierte "Pflegersche Indigoverfahren" wurde von den damaligen Farbwerken Meister, Lucius & Brüning, der späteren Hoechst AG, und der Degussa bis 1940 gemeinschaftlich ausgewertet. Für beide Firmen erwies sich das Pflegersche Patent als äußerst ertragreich. Die Farbwerke erhielten eine sehr lohnende Großfabrikation und die Degussa konnte aufgrund hoher Lizenzeinnahmen aus diesem Verfahren Dividenden zahlen, die mit 30, 40 und 50 Prozent zwischen den Jahren 1906 und 1911 heute nur noch ungläubiges Staunen hervorrufen.

Auch auf dem Gebiet der Aktivsauerstoffverbindungen und der chemischen Bleiche hat Johannes Pfleger grundlegende Forschungsarbeit geleistet. Auf Pflegers Initiative hin entstand das neue, nach heutigen Maßstäben eher bescheidene „Bleich- und anwendungstechnische Laboratorium“. Dieses war das erste seiner Art in der Welt und gleichzeitig die Geburtsstätte der Degussa Anwendungstechnik. Hier wurden Verfahren zur Bleiche mit anorganischen Peroxiden und später auch mit Wasserstoffperoxid realisiert. Diese Ergebnisse waren der Grundstein für die Entwicklung der Chemie der Waschmittelrohstoffe wie Perborat und Percarbonat – heute noch wichtige Produkte von Evonik Industries.

Für Pfleger blieben neben der beachtlichen Industriekarriere auch Ehrungen außerhalb des Unternehmens nicht aus. So verlieh die Königlich Technische Hochschule zu München „dem erfolgreichen Experimentator auf dem Gebiet der praktischen Electrochemie“ 1911 die Würde eines Doktors der technischen Wissenschaften (Dr.-Ing. e. h.). Einen zweiten Doktorhut erhielt er von der Universität Frankfurt 1923 in Anerkennung seiner technischen Leistungen im Gesamtgebiet der Chemie und als bahnbrechender Forscher auf dem Gebiet der Indigodarstellung. Schließlich wurde ihm 1931 von der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin für seine Verdienste auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung die Ehrenbürgerwürde verliehen.