Die Entstehung von Evonik Industries

Die Evonik Industries AG existiert unter diesem Namen seit dem 12. September 2007 – sie ist aber keineswegs eine Neugründung, sondern entstand durch Umfirmierung der RAG Beteiligungs AG. So kurz könnte die Entstehung von Evonik zusammengefasst werden. Dies würde aber einmalige wirtschaftshistorische und –politische Zusammenhänge vernachlässigen, die einer weiteren Betrachtung wert sind.

Gesellschaftsrechtlich gesehen reicht die Geschichte von Evonik Industries zurück bis in das Jahr 1968. Am 27. November war in Essen auf der Basis eines Bundesgesetzes die Ruhrkohle AG als Gemeinschaftsunternehmen des Ruhrbergbaus gegründet worden. Diese Gesellschaft akkumulierte anfangs etwa 80 Prozent der bundesdeutschen Förderkapazität für Steinkohle und nahm im Laufe der folgenden Jahrzehnte auch die verbliebenen Steinkohlenbergbauunternehmen auf. Im Zuge fortwährender Rationalisierungsmaßnahmen wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit deutscher Kohle schrumpften diese Bergbauaktivitäten (der so genannte „schwarze Bereich“ des Unternehmens) trotz hoher staatlicher Subventionen aber immer weiter zusammen. Dabei gelang der Ruhrkohle AG der sozialverträgliche Abbau einer hohen sechsstelligen Zahl von Arbeitskräften. Nicht subventioniert und teilweise ausgesprochen ertragreich waren hingegen Nicht-Bergbau-Aktivitäten (der so genannte „weiße Bereich“) wie die Mehrheitsbeteiligung am Stromerzeuger Steag AG, der Chemiekonzern Rütgerswerke AG oder die Beteiligung an der Ruhrgas AG. Zwischen dem schwarzen und dem weißen Bereich des Konzerns bestand eine „Haftungsverbund“ genannte Verbindung. Kurz ausgedrückt haftete der weiße Bereich mit seinem gesamten Vermögen für die Risiken des Bergbaubereichs. Zudem wurden die Erträge der Nicht-Bergbau-Aktivitäten benötigt, um die Subventionslasten der Öffentlichen Hand für den Steinkohlenbergbau zu mindern. Eine Dividende hat die Ruhrkohle AG ihren Aktionären – zumeist Montan- oder Energiekonzerne – also nie zahlen können.

In den 1990er Jahren trug die Ruhrkohle AG den veränderten Gewichten innerhalb des Unternehmens mit einem Konzernumbau Rechnung. Sie gab sich zu Jahresanfang 1994 eine „unechte“ Holdingstruktur. Unecht deshalb, weil die nun in der Ruhrkohle Bergbau gebündelten Steinkohleaktivitäten weiterhin unmittelbar von der Muttergesellschaft Ruhrkohle AG geführt wurden. Der eigentliche Beteiligungsbereich – darunter die Steag AG, die neu gegründete RAG Immobilien AG oder die Rütgerswerke AG – hingegen wurde in der RAG Beteiligungs-GmbH gebündelt. Nur zwei Jahre später wurde in der Konsequenz der Name Ruhrkohle AG durch die schon länger gängige, weniger spezifische Abkürzung RAG AG ersetzt.

Nach dem Jahr 2000 stellte sich zunehmend die Frage der Zukunftsfähigkeit der RAG. Grund dafür waren der immer schneller schrumpfende Bergbaubereich und die in Politik und Öffentlichkeit schwindende Akzeptanz für die nach wie vor hohen Subventionslasten. Nach dem Abwägen von Handlungsalternativen können die seinerzeitigen Prämissen des 2002 beginnenden völligen Umbaus des Konzerns folgendermaßen skizziert werden

  • ein fortgesetzter, geordneter Rückzug aus dem Steinkohlenbergbau,
  • eine privatwirtschaftliche Finanzierung der so genannten „Ewigkeitslasten“ nach dem Ende des aktiven Bergbaus und somit
  • eine stetige Minderung und späteres Ende der staatlichen Subventionen und
  • die Schaffung einer neuen industriellen Basis in einem eigenen Industriekonzern, in den der weiße Bereich eingebracht werden sollte.

Der nun folgende Umbau, der 2007 unter anderem in die Gründung der Evonik Industries AG münden sollte, begann mit dem Interesse der E.ON AG – einem der wesentlichen Anteilseigner der RAG AG – an der strategisch wichtigen Ruhrgas-Beteiligung der RAG. Nach längeren Verhandlungen und einer Ministererlaubnis gab die RAG schließlich Anfang 2003 ihre Ruhrgas-Beteiligung an E.ON ab und erhielt im Gegenzug rund 46,5 % des bisher weitgehend im Besitz von E.ON befindlichen Spezialchemiekonzerns Degussa AG mit Sitz in Düsseldorf. Eine wichtige Weichenstellung, denn noch 2003 beschloss die RAG, die Degussa AG zum Kern ihrer künftigen Industrieaktivitäten auszubauen. So erwarb sie am 1. Juni 2004 sowie am 17. März 2006 insgesamt weitere rund 46,5 % der Degussa von der E.ON AG und konnte schließlich nach Abfindung der verbliebenen Minderheitsaktionäre die Degussa am 14. September 2006 ganz übernehmen. Um dies finanzieren zu können, hatte sich die RAG in den Jahren 2003 bis 2005 von 280 Unternehmen mit einem Umsatz von rund 4,5 Mrd. Euro getrennt und 2006 auch die Degussa-Bauchemiesparte abgegeben.

Die RAG hatte die neu erworbene Degussa AG, wie zuvor schon die strategisch wichtigen verbliebenen Tochtergesellschaften Steag AG und RAG Immobilien AG in ihrem Beteiligungsbereich, in der RAG Beteiligungs GmbH (ab Oktober 2006 AG) eingegliedert. Hier schließt sich der Kreis, denn – wie bereits zu Beginn gesagt – wurde aus der RAG Beteiligungs AG dann 2007 Evonik Industries geformt – mit den drei Geschäftsfeldern Chemie, Energie und Immobilien.

Dies alles wäre allerdings, ohne die Zustimmung der verbliebenen Aktionäre der RAG (die vier Konzerne RWE AG, E.ON AG, Thyssen-Krupp AG sowie die Société Nouvelle Sidéchar S.A.) nicht möglich gewesen. Diese gaben ihre jeweiligen Anteile für einen symbolischen Euro an eine am 26. Juni 2007 eigens gegründete Stiftung, die RAG Stiftung, ab. Ende 2007 ging dann in der Konsequenz Evonik Industries aus dem Besitz der RAG in der RAG-Stiftung über. Die durch ein Bundesgesetz am 8. November 2007 legitimierte Stiftung soll die ihr zufließenden Dividenden der Evonik Industries AG, Erlöse aus dem Verkauf von Evonik-Anteilen sowie die hieraus erwirtschafteten Kapitalerträge verwenden, um das Auslaufen des westdeutschen Steinkohlenbergbaus bis 2018 mit zu finanzieren und auch die danach weiterhin anfallenden Belastungen aus den so genannten Ewigkeitsaufgaben, zu tragen.

Bei der Erfüllung ihres Stiftungszwecks erzielte die RAG Stiftung 2008 einen ersten Erfolg, als es ihr gelang, 25,1 % der Aktien von Evonik Industries für 2,4 Mrd. Euro an von einem britischen Investor beratene Fonds zu veräußern.

Als Mischkonzern 2007 gestartet, vollzog Evonik Industries zwei Jahre später einen Kurswechsel und positioniert sich heute als reiner Spezialchemiekonzern. Damit trug man dem Gewicht und der Ertragskraft der Chemie im Unternehmen eindeutig Rechnung. Dem entsprechend wurden die Energie- und die Immobilienaktivitäten nicht mehr als Kerngeschäft, sondern lediglich noch als Beteiligungen angesehen, mit dem Ziel, sich mittelfristig davon zu trennen. In der Konsequenz erwarb das Stadtwerkekonsortium Ruhr 50,1 Prozent der Evonik Steag GmbH, die fortan aus dem Evonik-Konsolidierungskreis ausschied.

Nahezu parallel wurde die Immobiliensparte verselbstständigt. Seit dem 1. Januar 2012 haben Evonik und das Essener Immobilienunternehmen THS die Bewirtschaftung ihres Bestandes von über 125.000 Wohnein-heiten in dem Gemeinschaftsunternehmen Vivawest Wohnen gebündelt.